Gemeinden im Kirchenkampf.
Ereignisse in der Zeit des Nationalsozialismus und Widerstand durch Pfarrer Friedrich von der Au.
1.10.1930: Friedrich v.d. Au, geboren 20.11.1894 in Dalheim/ Rheinhessen, übernimmt die Pfarrstelle Neuentempel mit Diedersdorf. Später kommen die Pfarrsprengel Görlsdorf und Lietzen hinzu.
1933/ 34: Ein erschütterndes Ereignis, das aufhorchen lässt, hat sich nach der ersten Wahl, in der Hitler sich bestätigen lässt, auf dem Weg zwischen der Komturei Lietzen und Neuentempel zugetragen. Augenzeugin ist die Hauslehrerin Lotte Dilo, die bei v. Hardenbergs Güter-Administrator Rudolph Bräuninger auf der Komturei wohnt und zur Klavierstunde der Aueschen Töchter nach Neuentempel geht. Bleich und zitternd erscheint sie im Pfarrhaus und schildert, was sie mit ansehen musste: SA- (oder SS?) Männer treiben die Lietzener „Nein-Wähler“ vor sich her, die sie auf irgend eine Weise ausfindig gemacht haben. Sie jagen sie durch die riesigen Wasserlachen, die seinerzeit im Winter oft die sandigen Landwege bedecken, mit dem Kommando: „Hinlegen! Aufstehen! Hinlegen…“. Bestürzt hört Pfarrer v.d. Au – selbst „Nein-Wähler“ (weil sich schon gleich zu Beginn das Aufkommen eines Unrechtsstaates abzeichnet) – von dieser menschenverachtenden Schikane. Bei einer späteren Wahl, der der Pfarrer, wie auch sein Vikar Kintzel, fernbleiben, werden in Neuentempel und Lietzen bei beiden Pfarrhäusern, mitten am Nachmittag, von einem SS-Auto (oder SA?) aus, mit dicken Steinen die Fensterscheiben, eingeschmissen.
1934: Von den unmenschlichen Methoden im Konzentrationslager Sonnenburg erfährt der Pfarrer unter dem Siegel des Beichtgeheimnisses bei Nacht von einem jungen Gemeindeglied aus Neuentempel, das einen ,,Führerwitz“ im Gasthof weitererzählt hatte und in Sonnenburg inhaftiert worden ist. Nach einigen Wochen war der, verstört und in sich gekehrt, entlassen worden unter der Auflage, über diese Zeit absolut zu schweigen.
1934: Friedrich v.d. Au wird Mitglied der Bekennenden Kirche (BK) und des von Niemöller initiierten ,,Pfarrernotbundes“. In allen seinen acht Dörfern ruft er die „Bekennende Gemeinden“ ins Leben. Deren Mitglieder lassen sich in sog. Bekenntnisversammlungen im Pfarrhaus oder bei besonders Vertrauten in den anderen Dörfern informieren und untereinander stärken.
Einige Gemeindeglieder haben sich inzwischen vom Kirchenchor getrennt, weil sie sich den NS-Ideen angeschlossen haben.
Andere, gerade unter den Jungen, schließen sich um so enger dem mutigen Pfarrer an, der von der Kanzel wie im persönlichen Gespräch offene, wegweisende Worte spricht; der Unrecht beim Namen nennt und für Verfolgte eintritt.
Die Orte Neuentempel, Marxdorf und Seelow mit Pfarrer Pecina und Vikar Willi Brandenburg sind inzwischen als „Hochburgen“ der BK bekannt.
- März 1935: Erste Verhaftung am Sonntag Reminiscere, damals gehalten als „Heldengedenktag“, mit immer besonders stark besuchtem Gottesdienst. Wie Pfarrer v.d. Au mit seinem Vikar Rütenick, werden an diesem Sonntag unzählig viele Pfarrer verhaftet, die die verordnete Kanzelabkündigung der BK über den Totalitätsanspruch des NS-Staats, ihrer Weisung gemäß, verlesen wollen. Bei Pfarrer v.d. Au beschlagnahmt schon am Vortag der Seelower Ortspolizist das Abkündigungsblatt. Sofort setzt er sich telefonisch mit seinem Amtsbruder und Freund Iskraut in Frankfurt/Oder in Verbindung und bittet ihn vorsorglich, falls es wirklich zur Verhaftung kommen sollte, den Neuentempler Gottesdienst samt Abkündigung zu übernehmen. Kurz vor Beginn des Gottesdienstes erscheint im Pfarrhaus der Polizist, um den Pfarrer zu verhaften, weil der am Vortag geäußert hatte, dass er sich verpflichtet fühle, seiner Gemeinde den Inhalt der Abkündigung mitzuteilen. In dem Augenblick, in dem Friedrich v.d. Au durch das Hoftor in Richtung Lietzen abgeführt wird, verlässt durch die Hintertür! Iskraut das Pfarrhaus in Richtung Kirche, mit seinem eigenen Abkündigungsblatt in der Agende. Pfarrer v.d. Au und Rütenick werden zuerst ins Lietzener Spritzenhaus gesperrt, dann ins Gefängnis von Frankfurt/0. gebracht. Nach einer Woche kommen sie wieder frei.
Sommer 1935: Für die Monate Juli bis einschließlich September wird über v.d. Au und Pecina Seelow die Ausweisung aus dem Regierungsbezirk Frankfurt/ 0. und totales Redeverbot verhängt.
Mitten aus dem Missionsfest heraus, im Angesicht der Gemeinde, muss der Pfarrer, begleitet von Polizei und Amtswalter, Neuentempel verlassen.
Schon im ersten Monat der „Ausweisung“, mitten in der Erntezeit, macht sich eine Abordnung von Neuentempler Kirchenvorstehern auf nach Berlin, um sich bei den Behörden für die Rückkehr ihres Pfarrers einzusetzen.
Diese wird aber erst zum Erntedankfest, Anfang Oktober, geschehen!
Am Abend seiner Heimkehr wird das Pfarrhaus „überquellen“ von treuen Gemeindegliedern, die dankbar ihren ein Vierteljahr lang entbehrten Pfarrer begrüßen!
Ab diesem Jahr wurden abends in der Neuentempler Kirche Fürbittegottesdienste abgehalten, in denen viele Namen der Verhafteten, Ausgewiesenen, mit Redeverbot belegten, im KZ gehaltenen Pfarrer verlesen wurden.
erfährt Pfarre v.d. Au vertraulich von einem Seelower SA- oder SS-Mann, dass Pfarrer Pecina auf nächtlichem Rückweg von der Bibelstunde „gelyncht“ werden soll.
V.d. Au wagt den „Sprung nach vorn“ und bittet seinen Amtsbruder, zu dessen Entlastung am folgenden Sonntag predigen zu dürfen. Von der Seelower Kanzel herab ruft er die Gemeinde auf „gut auf ihren Pfarrer aufzupassen“, weil bekannt geworden sei, dass man Pfarrer Pecina „beseitigen“ wolle. Somit ist der schändliche Plan vereitelt.
Von prägender Bedeutung für die Neuentempler und Diedersdorfer Gemeinde wie für Berliner Jugendliche sind seit Anfang der Dreißiger Jahre die Pfingstlager der Berliner Schülerbibelkreise. Anfangs finden sie am „Großen See“ statt. Nach dem Verbot aller Jugendverbände außerhalb der „Staatsjugend“ 1935, gelingt Friedrich v.d. Au der Partei gegenüber ein köstlicher Streich 200 Berliner Jungen werden von Neuentempler Bauern als persönliche Gäste eingeladen! Sie campieren in Gruppen in Scheunen, Bibelarbeit, Singen und Spielen finden im großen Pfarrgarten statt.. Alles wird argwöhnisch von den staatlichen Behörden beobachtet. Auf dem Weg zum Laienspiel in der Diedersdorfer Kirche wird der lange Zug der Berliner von Hitlerjugend „begleitet“. Sie greift aber nicht an. Schon bei der Anfahrt der Berliner Schülerbibelkreis-Jungen war höchste Vorsicht geboten: keinesfalls zu mehr als Vierer-Grüppchen in gebührendem Abstand, dürfen sie sich mit ihren Fahrrädern auf der Reichsstraße 1 nähern, damit das Pfingsttreffen nicht schon im Vorfeld aufgelöst wird.
In all den Jahren des Kirchenkampfes werden immer wieder die Gottesdienste von der Polizei überwacht und Predigtäußerungen mitgeschrieben, daraufhin Vorladungen erlassen. Außerordentlichen Bekenntnischarakter haben die großen Waldgottesdienste zu Himmelfahrt, gehalten in des Patron v. Seidels „Sandfichten“ oder an einem See des Grafen Hardenberg. Zu ihnen hin strömen Menschen aus allen Bekennenden Gemeinden der Umgebung bis von Seelow her.
1937: Am Sonntag, dem 8. August 37 ist in Berlin-Dahlem ein großer Fürbittegottesdienst angesetzt für den im KZ Dachau einsitzenden Dahlemer Pfarrer Martin Niemöller. Auf dem Weg zur Christus-Kirche werden unzählig viele Menschen verhaftet, die Pfarrer im Talar von der Straße weg zum berühmt-berüchtigten Gefängnis am Alexanderplatz gebracht. Auch Friedrich v.d. Au, ist darunter.
Einen unvergesslichen Fürbittgottesdienst hat es in jenen Jahren in Seelow gegeben. An einem Werktagnachmittag begeben sich viele Menschen zur Seelower Kirche, um für die seit längerer Zeit schon in Haft gehaltenen Seelsorger Pfarrer Pecina und Vikar Willi Brandenburg zu beten. Die Kirche ist jedoch von der Polizei verschlossen worden und Parteileute hindern die Gläubigen am Öffnen und Betreten des Gotteshauses. Nun findet der Gottesdienst vor, bzw. neben der Kirche, d.h. auf kirchlichem Gelände, – zum Zorn der Staatsvertreter – statt. Unüberhörbar für die Innenstadt, den Rathausplatz, sind nun die laut gesprochenen Gebete und der stimmgewaltige Gesang der Vielen: „Ist Gott für mich, so trete gleich alles wider mich; so oft ich ruf und bete, weicht alles hinter sich…“
September 1937: Gleichzeitig mit vielen anderen Pfarrern, wird Friedrich v.d. Au für drei Wochen ins Gefängnis von Frankfurt/Oder gebracht. ,,Kollektenkampf` wird seit Wochen geführt, nachdem das Abliefern der Kollekten an die Kirchenleitung der Bekennenden Kirche verboten worden war, um diese auszuhungern. An vielen Orten ist die Polizei angewiesen worden, die Kollekten sofort nach dem Gottesdienst zu beschlagnahmen. Als ein Polizist in der Neuentempler Kirche Platz genommen hat, ruft der Pfarrer in den Abkündigungen die Gemeinde auf zu einem „Opfergang um den Altar“, wobei das Dankopfer auf den Altartisch gelegt wird. Nach Beendigung des Gottesdienstes wird die Kollekte sofort in die Sakristei gebracht und – geistesgegenwärtig – ein Staubtuch darüber geworfen… [Der in seiner Gesinnung sehr anständige Polizist hätte sich wohl auch geschämt, sich an der „Gabe für Gott“ zu vergreifen] Doch die unbeugsamen Pfarrer werden in Haft genommen und dürfen erst zum Erntedankfest zurückkehren. Nach der Entlassung aus der dreiwöchigen Haft bereitet die Neuentempler Gemeinde dem Heimgekehrten, wie seinerzeit nach der „Ausweisung“, einen unbeschreiblich liebevollen, stürmischen Empfang. Selbst der Patron Graf Hardenberg mit seiner Gattin eilt aus Neuhardenberg zur Begrüßung herbei und bezeugt damit, dass er zu dem bekenntnistreuen Pfarrer steht.
Vom Regime Verfolgten und Juden gewährt Pfarrer v.d. Au im Pfarrhaus erholsame Zeiten. Bräute der Vikare und von jungen „illegalen“ Pfarrern der BK, mit geringem Gehalt, lädt er für Sommerwochen und die Festtage in die Familie ein. Eine Berliner Jüdin aufzunehmen, die vertrauensvoll von Pfarrer Pecina zum Neuentempler Pfarrhaus geschickt wird, sollte erst im letzten Kriegswinter Aufgabe – höchst gefährlicher Art – für eine der Aueschen Töchter sein.
10. Nov. 1938: Am Tag nach der Pogrom-Nacht bittet v.d. Au seinen jungen Amtsbruder und Freund Karl-Heinz Corbach in Görlsdorf, mit ihm zusammen mit dem Fahrrad nach Seelow zu fahren, um einem alten, bescheidenen jüdischen kleinen Händler, der sicherlich total verstört und ängstlich sei und sich wohl nicht auf die Straße wagen könne, einen Rucksack mit Lebensmitteln zu bringen. Noch vor wenigen Jahren berichtete Corbach von diesem Erlebnis: V.d. Au habe die Ellenbogen breit gemacht und sei mit ihm, Corbach, unbeirrt durch die Schar von SA-Leuten, die das Haus des Juden umlagerten, hindurchgegangen.
Ab 1944 vertritt ihn die Vikarin Ilse Fredrichsdorf in den Lietzener, Neuentempler und Görlsdorfer Gemeinden. Frau Fredrichsdorf wohnt in Lietzen, trägt eine ungeheure Arbeitslast. So bescheiden ihr Auftreten ist, so unbeirrbar tut sie ihren Dienst im Sinne der BK. Eine der Neuentempler Pfarrerstöchter, die gerade im ,,Kriegshilfsdienst“, nach Abitur und Arbeitsdienst in Neuentempel, ist, bringt im Auftrag von Ilse Fredrichsdorf z.B. höchst gefährliches Material zu einem Vertrauten der BK in Alt Rosenthal: die berühmten Briefe zur Euthanasie des kath. Bischofs Graf Galen!
März – April 1945: Neuentempel und umliegende Dörfer werden in den ersten Märztagen geräumt. D.h. Frauen und Kinder sollen den Ort verlassen, nur die (alten) Männer des Volkssturms sollen bleiben. Am 16. April bricht der Großkampf an den Seelower Höhen los. Am 18. April wird Neuentempel von der Roten Armee besetzt.
Herzlichen Dank an Barbara-Maria Ceglarski, geb. v.d. Au, die viel Material zusammengetragen hat. Das Original ist unter Internet unter www.lznt.de.vu zu lesen.
Die Kirchengemeinde in den 50er Jahren, wie sie Pfarrer Fuhrmann erlebte
Pfarrer Fuhrmann amtierte hier (von 1951) bis zu seinem Weggang nach Schönwalde (Kr. Bernau) am 20. März 1959. Er hielt gute Nachbarschaft mit dem in Neuentempel amtierenden Amtsbruder Pfarrdiakon Neu, indem sie sich oft vertraten und auch sonst sehr zusammenhielten. Denn die Amtszeit von Pfarrer Fuhrmann war eine sehr bewegte Zeit, da sich ein großer wirtschaftlicher Umbruch vollzog, nämlich von der individualistischen zur kollektivistischen Wirtschaftsweise.
In der Filialgemeinde Worin wurde damit begonnen, indem dort die erste LPG (Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft) der DDR (Deutsche Demokratische Republik) gegründet wurde. Der dortige Vorsitzende Bernhard Grünert, der erste Bürgermeister in Worin war, war ein großer Atheist, der der dortigen äußerst treuen und tapferen Kirchengemeinde durch Verleumdungen und Schikanen sehr zu schaffen machte. Unter anderem versuchte er den der dortigen Kirchengemeinde zugehörigen Friedhof zu sperren und das kirchliche Leben zu boykottieren.
Auch in Görlsdorf und Alt Rosenthal wurden landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften gegründet, die gern dazu benutzt wurden, die Gottlosigkeit in die Kirchengemeinden hineinzutragen und kirchliche Leben zu zersetzen. Wenn sich so auch manches Gemeindeglied von dem immer stärker andringenden Atheismus irremachen ließ und seinen Austritt aus der Kirche erklärte – in Worin ließen sich dazu im Nov. 1958 25 Gemeindeglieder hinreißen -, so gewann eigentlich nur das kirchliche Leben dadurch, indem die verbleibenden Gemeindeglieder um so fester zusammenheilten, sich recht rege am kirchlichen Leben beteiligten und eine große Opferfreude zeigten. Die Kollektenerträge verzwei-, verdreifachten sich, der Kirchenbesuch stieg teilweise auf 40 % an.
Obwohl der Hirte der Gemeinde mehrfach verleumdet und angegriffen wurde, ließen sich die Gemeindeglieder nicht von ihm trennen. Sie standen in großer Treue und Unerschrockenheit zu ihm. Die Gemeindekirchenräte in Görlsdorf, Alt Rosenthal und Worin arbeiteten äußerst eifrig mit und unterstützten den Pfarrer in jeder Weise. Daneben arbeiteten die Helferkreise mit großer Treue.
Am 15. Februar 1952 wurde durch den zuständigen Generalsuperintendenten D. Jacob aus Cottbus die Görlsdorfer Kirche und am 24. Oktober 1953 die AltRosenthaler Kirche eingeweiht. Beide Gotteshäuser hatten durch den 2. Weltkrieg sehr gelitten. Die Gemeindeglieder haben sich an der Instandsetzung dieser beiden Kirchen rege beteiligt. Auch die Woriner Kirche konnte wieder hergestellt werden, wobei die Gemeindeglieder ebenfalls tatkräftig mitgeholfen hatten. Außerdem haben die Kirchengemeinden Görlsdorf, Alt Rosenthal und Worin keine Opfer an Geld und Zeit gescheut, ihre stark verlodderten Friedhöfe in einen würdigen Zustand zu bringen.
Vorstehende Aufzeichnungen hat Pfarrer Hans-Georg Fuhrmann getätigt.